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Von der unentbehrlichen zur unerträglichen Nation: wie Trump die Supermacht USA demontiert
Dem Kampf für liberale Werte verdanken die USA ihre unvergleichbare Stärke, ihre treuen Verbündeten und den Sieg im Kalten Krieg. Donald Trump hat sich vom Erfolgsrezept verabschiedet. Aussenpolitische Experten warnen: Der Schaden könnte nachhaltig sein.
Christian Weisflog, Washington
22.09.2025, 10.50 Uhr 8 min
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Präsident Trump besteigt die Air Force One, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Alaska zu treffen. 15. August, 2025
Präsident Trump besteigt die Air Force One, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Alaska zu treffen. 15. August, 2025
Julia Demaree Nikhinson / AP
Fast alle amerikanischen Präsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg verstanden ihr Land als «Shining City on a Hill»: als leuchtendes Vorbild und Sehnsuchtsort für alle freiheitsliebenden Menschen. In dieser Stadt wimmle es «von Leuten aller Sorten», die in Harmonie lebten, sagte Präsident Ronald Reagan in seiner Abschiedsrede 1989. Ihre Häfen seien frei, und ihre Türen stünden für alle offen, die den Willen und das Herz hätten, es bis nach Amerika zu schaffen. Auch nach 200 Jahren seien die USA «immer noch ein Magnet für alle, die die Freiheit brauchen, für alle Pilger aus allen verlorenen Orten, die durch die Dunkelheit nach Hause eilen».
Das Selbstverständnis eines demokratischen und rechtsstaatlichen Leuchtturms leitete in der Regel auch die amerikanische Aussenpolitik. Die USA wollten die Welt nach ihrem Vorbild gestalten: eine Welt mit offenen Türen, freien Häfen und universellen Rechten für alle – nicht nur für die Mächtigen. Donald Trump jedoch hat sich von diesen Idealen verabschiedet.
«Ein Akt der Selbstverstümmelung»
Die Radikalität, mit der Trump die Abkehr von den liberalen Werten vorantreibt, überrascht selbst akademische Grössen wie den Harvard-Professor Stephen Walt. Im Januar 2024 schrieb er im Magazin «Foreign Policy» eine Kolumne mit dem Titel: «Eine weitere Trump-Präsidentschaft wird die amerikanische Aussenpolitik nicht gross verändern». Die Ängste der Welt seien meist übertrieben. Auch ein demokratischer Präsident würde eine diplomatische Lösung im Ukraine-Krieg anstreben. Auch Joe Biden habe gegenüber China einen harten Kurs verfolgt und im Gazakrieg der Netanyahu-Regierung weitgehend freie Hand gelassen. «Ich würde nicht auf einen radikalen Wandel wetten.»
Im Gespräch mit der NZZ sagt der Professor für internationale Beziehungen nun: «Ich habe einfach nicht vorhergesehen, wie radikal sie vorgehen werden.» Bereits im März zählte Walt in einer weiteren Kolumne seine Irrtümer auf. Etwa im Verhältnis zu Europa: «Ich habe Trumps Feindseligkeit gegenüber unseren wichtigsten demokratischen Verbündeten unterschätzt.» Oder im Umgang mit Kiew: «Ich habe nicht erwartet, dass er die Position des russischen Präsidenten mit solchem Enthusiasmus übernimmt, der Ukraine vorwirft, den Krieg begonnen zu haben, oder Präsident Wolodimir Selenski öffentlich angreift.»
Im Interview nennt Walt aber vor allem zwei weitere Fehleinschätzungen. Einerseits zur Zollpolitik: Trump habe mit Handelsminister Howard Lutnick und Wirtschaftsminister Scott Bessent eigentlich fähige Berater engagiert, die wüssten, dass exorbitante Zölle auch für die USA schädlich seien, erklärt Walt. «Ich wusste, dass Trump besessen von den Zöllen ist. Aber ich unterschätzte, wie gravierend es sein wird und dass seine Wirtschaftsberater das weitgehend mittragen.»
Anderseits hätten er und viele andere Experten den Angriff der Trump-Regierung auf die Universitäten nicht vorausgesehen. Washington will die staatlichen Forschungsgelder um rund einen Drittel kürzen. Im Frühling drehte die Regierung den Wissenschaftern in Harvard den Geldhahn zu, weil die Elitehochschule sich ihrer politischen Agenda nicht unterwerfen wollte. Gleichzeitig verzögerte sich die Visavergabe an ausländische Studenten, weil Washington nun deren politische Gesinnung anhand ihrer Online-Profile genau überprüfen möchte. Für Walt ist dies ein «unglaublicher Akt der Selbstverstümmelung».
In zehn bis zwanzig Jahren würden die USA dadurch schwächer und ärmer. «Die Vereinigten Staaten waren gut darin, auf der ganzen Welt die klügsten Köpfe zu rekrutieren – zum Wohl der amerikanischen Wirtschaft und des Militärs.» Nun gefährde Trump eine der wichtigsten Grundlagen für Amerikas Macht und Einfluss in den vergangenen hundert Jahren, meint Walt.
Für das Vorgehen sieht der Politologe einen einfachen Grund: «Wenn man eine Demokratie in eine illiberale Demokratie oder eine Autokratie verwandeln will, muss man alle unabhängigen Quellen des kritischen Denkens kontrollieren.» Mit Ermittlungen, Entlassungen, Klagen, Verordnungen oder administrativen Bestrafungen versucht Trump auch Anwaltskanzleien, unabhängige Behörden wie die Zentralbank, Medien oder Museen gefügig zu machen. «Sie versuchen so viele Institutionen wie möglich einzuschüchtern, damit die Leute sich nicht trauen, sie zu kritisieren.»
Auf den ersten Blick hat diese innenpolitische Machtkonzentration wenig mit Aussenpolitik zu tun. Doch im Grunde geht die Schwächung des Rechtsstaats in den USA auch mit einer Abkehr vom Kampf für eine liberale Weltordnung und dem Selbstbild eines demokratischen Leuchtturms einher.
Eine harmonisches Treffen: Donald Trump und Wladimir Putin sprechen in Alaska über den Ukraine-Krieg.
Eine harmonisches Treffen: Donald Trump und Wladimir Putin sprechen in Alaska über den Ukraine-Krieg.
Kevin Lamarque / Reuters
Gefangen in Widersprüchen
Donald Trump will kein demokratisches Vorbild für die Welt sein. Im Gegenteil: Beim Ukraine-Krieg macht er immer wieder deutlich, dass er grössere Sympathien für den russischen Kriegsverbrecher Wladimir Putin als für den ukrainischen Freiheitskämpfer Wolodimir Selenski und seine europäischen Verbündeten verspürt. Seiner Politik liege dabei ein fundamentaler Widerspruch zugrunde, meint Walt. «Trump will, dass Europa mehr für seine eigene Sicherheit tut. Aber indem er der europäischen Wirtschaft mit seinen Zöllen schadet, macht er es für Europa fast unmöglich, mehr für die Verteidigung auszugeben.»
Die EU sei gegründet worden, um den USA zu schaden, sagt der amerikanische Präsident immer wieder. Für Walt ist klar: «Trump wünscht sich, dass die EU komplett zerbricht.» Dies würde es für ihn einfacher machen, die einzelnen Staaten gegeneinander auszuspielen. «Er mag die liberalen Werte nicht, die das vereinte Europa verkörpert.» Washington bevorzuge deshalb offen illiberale Politiker auf dem alten Kontinent wie etwa Ungarns Viktor Orban. Unverblümt mischt sich die amerikanische Regierung in die Innenpolitik von verbündeten Demokratien ein. Vor der Präsidentschaftswahl in Polen machte sich Kristi Noem, die Ministerin für Inlandsicherheit, für den konservativen Kandidaten Karol Nawrocki stark und drohte zwischen den Zeilen mit einem Abzug amerikanischer Soldaten: «Wenn ihr einen Anführer wählt, der mit Präsident Trump zusammenarbeitet, wird das polnische Volk einen starken Verbündeten haben, um Feinde abzuwehren. (. . .) Ihr werdet weiterhin eine amerikanische Militärpräsenz haben.»
Eigentlich habe Trump seinen Wählern eine isolationistische «America first»-Politik versprochen, schrieb der ehemalige britische Spitzenpolitiker Nick Clegg kürzlich im Magazin «Atlantic». Aber wie die Einmischung in Polen zeige, verfolge Trump nun eine «America everywhere»-Doktrin. Ein anderes Beispiel dafür ist Brasilien: Washington verhängte drakonische Zölle gegen das Land, weil dessen Justiz den ehemaligen Präsidenten und Trump-Freund Jair Bolsonaro wegen angeblicher Putschpläne zur Rechenschaft zieht. Im Nahen Osten schlug der amerikanische Präsident derweil vor, die Palästinenser aus dem Gazastreifen auszusiedeln und auch mithilfe der USA eine «Riviera» aufzubauen. Trump formulierte seine globalen Machtansprüche im April in einem Interview. In seiner ersten Amtszeit habe er im eigenen Land um sein politisches Überleben gekämpft: «In meiner zweiten Amtszeit führe ich das Land und die Welt.»
Trump widerspreche sich dabei jedoch selbst, schrieb Kori Schake von der konservativen Denkfabrik American Enterprise Institute kürzlich in einer Analyse. «Seine Aussenpolitik basiert auf einer erheblichen Überschätzung der amerikanischen Macht», meinte die aussenpolitische Beraterin in der Regierung von George W. Bush. Trump hat den Wählern immer wieder eingebläut, dass Amerika es sich nicht mehr leisten könne, den Weltpolizisten zu spielen. Zunächst müsse sich das wirtschaftlich gebeutelte Land um das Wohl der eigenen Bürger kümmern. «Aber Trump und seine Berater scheinen immer noch zu glauben, dass Washington – trotz dem angeblich schlimmen Zustand des Landes – andere auf unilaterale Weise zur Kapitulation zwingen kann.»
Im Hamburger Hafen stapeln sich die Container am 15. April 2025, nach Trumps Ankündigung von Strafzöllen für die EU.
Im Hamburger Hafen stapeln sich die Container am 15. April 2025, nach Trumps Ankündigung von Strafzöllen für die EU.
Sean Gallup / Getty
Eine riskante Wette auf schlechte Konkurrenz
Seit dem Zweiten Weltkrieg habe amerikanische Macht vor allem auf Kooperation und nicht auf Zwang beruht, kommentierte Schake. Das habe Washingtons Weltordnung so kosteneffizient gemacht: «Die Regeln mussten selten durchgesetzt werden. Keine dominante Macht genoss jemals so viel Hilfe anderer, um ihre Dominanz aufrechtzuerhalten.» Mit einer riskanten Wette setze Trump die Allianzen der USA nun aufs Spiel. Der Präsident gehe davon aus, dass die Verbündeten seinem Land vermehrt misstrauten und es verabscheuen könnten, aber nicht so sehr, wie sie China, Russland oder anderen Rivalen misstrauten. «Trump will einen Hegemonen kreieren, der so schlecht wie möglich, aber immer noch besser als alle anderen Kandidaten ist.»
In einigen Fällen ist Trumps Kalkül bisher aufgegangen. Die EU zum Beispiel akzeptierte ein einseitiges Zollabkommen, gleichzeitig wollen die europäischen Nato-Partner mehr für ihre eigene Sicherheit tun. Ob Trump diese Wette auch auf Dauer gewinnt, bleibt aber abzuwarten. Washington zwingt seine Verbündeten dazu, eigenständiger zu werden. Gleichzeitig geht es davon aus, dass sie künftig nach wie vor zum Vorteil der USA handelten. «Dass dem so sein wird, ist unwahrscheinlich», so analysiert Schake. Es könnte sein, dass traditionelle Verbündete und neutralere Länder bald gegen die Interessen der USA zusammenarbeiten. «Wenn die amerikanische Politik offen amoralisch und kaum unterscheidbar von jener Chinas und Russlands ist, könnten andere Länder sich diesen Mächten anschliessen, in der Hoffnung, dass deren Verhalten wenigstens verlässlicher sein wird.»
Trump beflügelt den Antiamerikanismus in Europa. Besonders etwa in Ländern wie Dänemark, dessen grönländisches Territorium sich Trump aneignen möchte. Eine Mehrheit der Europäer sieht Trump heute als Gefahr und als Feind. In Japan und Südkorea werden die Stimmen lauter, die eine atomare Bewaffnung befürworten. In einem Interview erklärte die damalige amerikanische Aussenministerin Madeleine Albright 1998: «Wir sind die unentbehrliche Nation. (. . .) Amerikanische Männer und Frauen in Uniform sind immer bereit, Opfer zu bringen für Freiheit, Demokratie und die amerikanische Lebensweise.» Die Vereinigten Staaten hätten sich nun von der unentbehrlichen zur unerträglichen Nation gewandelt, konstatiert Schake.
Auch der ehemalige CIA-Analyst Mathew Burrows sagt im Gespräch mit der NZZ über die amerikanischen Verbündeten: «Sie werden den USA nie mehr so vertrauen, wie sie das vor Trump taten.» Der Experte des Stimson Center glaubt ebenfalls, dass die Europäer, Asiaten und andere Länder versuchen könnten, eine «globalisierte Welt ohne die USA zu schaffen». Gerade etwa bei grünen Technologien sei China den Vereinigten Staaten weit voraus. Beim Kampf gegen den Klimawandel würden die Europäer nun nicht mehr darauf warten, bis die Amerikaner wieder zur Besinnung kämen.
Putzarbeiten vor einem Obdachlosenheim in Hempstead, New York.
Putzarbeiten vor einem Obdachlosenheim in Hempstead, New York.
Shannon Stapleton / Reuters
Die Abkehr hat tiefe Wurzeln
Burrows dämpft auch die Hoffnung, dass die USA bald wieder zu ihrer Rolle als Anführerin der freien Welt zurückfinden könnten. Er geht davon aus, dass der Internationalismus seinen Zenit überschritten hat. «Das ist ein anderes Amerika.» Ein Amerika, dessen Wandel bereits lange vor Trump begonnen hat. Der Grund sei die seit Jahrzehnten wachsende soziale Ungleichheit, sagt Burrows. Dies führe auch in der Mittelklasse zu einem wachsenden Gefühl, dass die Demokratie nicht mehr funktioniere. «Für die meisten Amerikaner war Demokratie gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Wohlstand.» Aber dieses Versprechen löse sie heute für viele nicht mehr ein. «Solange das Problem der sozialen Ungleichheit besteht, wird Amerika nicht zur Ruhe kommen.»
Angesichts des aufstrebenden China und seiner autoritären Allianz mit Russland wären die USA eigentlich mehr denn je auf ihre Bündnispartner angewiesen. Stattdessen treibe Trump «die letzten Nägel in den Sarg» der selbst errichteten Weltordnung, sagt Burrows. Und der amerikanische Präsident tue dies «auf eine ziemlich hässliche und brutale Weise».
Der Harvard-Professor Walt erklärt zum Abschluss unseres Gesprächs: «In fünfzig Jahren werden Historiker dies als den kritischen Moment erkennen, in dem die Amerikaner bewusst Leute wählten, die am Ende enormen Schaden anrichteten und unsere Position in der Welt fundamental veränderten – und nicht zum Besseren. Ich hoffe, ich irre mich darin.»
Die Amerikaner dürften ihre Fehler dabei erst erkennen, wenn es zu spät ist. Die Historikerin Sarah Paine schrieb in der jüngsten Ausgabe von «Foreign Affairs»: «Wie den Sauerstoff um sie herum werden sie die globale Ordnung erst vermissen, wenn sie verschwunden ist.»
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